Johanna Häusler

 

Was wärst Du geworden, wenn Du nicht Physiker geworden wärst?

Ich arbeite zwar als Wissenschaftskommunikatorin bei Belle II, bin aber keine Physikerin, sondern Biologin und Philosophin. Tatsächlich habe ich viele Interessen – in der Schule habe ich allerdings auch mal überlegt, Kunst zu studieren. In der Biologie hat mich dann fasziniert, das Lebendige immer weiter zu verstehen – wie funktionieren die Prozesse des Lebendigen von der Biochemie bis zum ganzen Lebewesen? Und die Philosophie beschäftigt sich mit den ganz großen Fragen des Lebens und des Kosmos. Sie kommt nicht von der Seite der Empirie, trotzdem steht sie damit der Physik in einer gewissen Weise nahe – beide treffen sich, so könnte man sagen – bei den großen Fragen, kommen aber von anderen Seiten.

 

Was begeistert Dich in Deiner Arbeit bei Belle II?

Das Belle II Projekt ist aufregend, weil man dort lernen kann, wie Physiker aus aller Welt an den ganz großen empirischen Fragen der Materie und des Kosmos arbeiten. Meine Aufgaben bewegen sich im Bereich von Koordination, Organisation und Wissenschaftskommunikation. Damit bekomme ich interessante Einblicke in strukturelle als auch in wissenschaftliche Aspekte dieser Forschung. Und natürlich lerne ich viele interessante Menschen kennen – ich denke, das Interesse an den Mysterien des Kosmos zieht interessante Menschen an.

 

Wie wurde Dein Interesse für Teilchenphysik / Belle II geweckt?

Für die Teilchenphysik interessiere ich mich seit meinem Philosophiestudium, in dem wir viel über die philosophischen Fragen gesprochen haben, die mit der modernen Physik auftauchen. Das ist verblüffend: Die Relativitätstheorie stellt die newtonsche Sicht über Raum und Zeit auf den Kopf – Raum und Zeit sind keine Konstanten mehr, sondern abhängig von Bezugssystemen. Und die Quantentheorie stellt unsere Auffassungen über Materie infrage. Da sind wir natürlich ganz nah an der Naturphilosophie, die danach fragt, wie Natur konstituiert ist. Dazu gehören (im breitesten, metaphysischen Sinne) auch die Frage danach, was Raum und Zeit eigentlich sind und wie wir die Materie verstehen können, die uns ja letztlich konstituiert.

 

Woran arbeitest Du gerade und was hat Dich daran fasziniert?

Ich arbeite in der Wissenschaftskommunikation bei Belle II. Das ist besonders aufregend, weil Belle II bisher in den Medien im Vergleich zu den großen und bekannten Teilchenphysikexperimenten unterrepräsentiert ist und wir den öffentlichen Auftritt fast von der Pike auf entwickeln und begleiten können. Nun arbeiten wir u.a. an einer Outreach-Strategie für Belle II, die wir in nächsten Jahren weiter verstärken wollen. Darunter fällt der Aufbau einer Webpage, eine eigene Visual Identity, Informationsmaterial und die Organisation von Veranstaltungen. Zum Beispiel fahren wir 2023 auf die Hannovermesse – darauf bin ich schon sehr gespannt. Und natürlich fasziniert mich auch die Vermittlung der Faszination selbst: vor allem für die Wichtigkeit der großen Fragen (wie um die dunkle Materie), die bei Belle II erforscht werden.

 

Warst Du auch in Japan bei Belle II? Wenn ja, was hat am meisten Eindruck hinterlassen?

Nein, leider nicht. Aber natürlich würde ich gerne einmal den Belle II-Detektor live sehen – und zugegeben: ebenso gerne würde ich die Kirschblüte sehen wollen, für die Japan so bekannt ist; das muss ein ausgesprochen schönes Bild sein.

 

Was machst Du am liebsten, wenn Du gerade nicht mit Belle II beschäftigt bist?

Ich schreibe an meiner Dissertation in Philosophie, die sich mit der Frage von Freiheit und damit mit einem Grenzbereich zwischen Naturwissenschaften und Philosophie auseinandersetzt. Besonders die Wissenschaftstheorie fasziniert mich dabei sehr – dafür ist die Arbeit bei Belle II besonders interessant, weil sie mir die wissenschaftspraktische Arbeit an der Physik ganz unvermittelt näherbringt. Und auch die Philosophie der Physik ist sehr spannend.

 

Was ist für Dich der verblüffendste/interessanteste wissenschaftliche Fakt?

Der verblüffendste Fakt ist für mich ein existenzieller, nämlich dass es etwas gibt und nicht nichts. Aber auch die Wissenschaft bringt in allen Facetten Neues – als Biologin fasziniert mich natürlich die äußerste Komplexität und die überaus erstaunliche Intelligenz des Lebendigen. Dieses Lebendige hat ein materielles Fundament, das in den kleinsten Komponenten Gegenstand physikalischer Forschungen ist. Diese Spannung aus Einfachheit und Komplexität verblüfft mich sehr.
Es gibt beispielsweise einen Parasiten, der in seinem Lebenszyklus verschiedene Wirte hat – u.a. eine Ameise und ein Schaf. Der Parasit setzt sich in die Ganglien der Ameise und beeinflusst ihr Nervensystem so, dass sie sich (vorwiegend in den frühen Abendstunden) mit ihren Celiceren an einen Grashalm klammert, um besser von dem Schaf gefressen zu werden, das dann der nächste Wirt ist. Dass sich diese spezialisierte Komplexität evolutiv entwickeln konnte, finde ich verblüffend – von dem menschlichen Bewusstsein, das dann die Welt erklärt, ganz zu schweigen.

 

Hast Du ein Vorbild? Wenn ja, wen?

Ja, ich habe mehrere Vorbilder und bin oft erstaunt, wie viel Menschen auf den unterschiedlichsten Bereichen leisten können. In der Philosophie sind meine Vorbilder u.a. A.N. Whitehead und Nancy Cartwright. Beiden gemeinsam ist ihr scharfer Verstand und eine gewisse revolutionäre Haltung gegenüber eingefahrenen philosophischen und theoretischen Dogmen. Whitehead war Mathematiker, theoretischer Physiker und Philosoph und entwarf eine Prozessphilosophie, die eine einheitliche Metaphysik von den kleinsten Entitäten der Wirklichkeit bis zu unserer Erfahrung erlauben sollte. Cartwright ist Wissenschaftstheoretikerin und Physikerin, hat einen scharfsinnigen Blick auf den Status unserer Naturgesetze und bezieht in die Wissenschaftstheorie immer auch die Wissenschaftspraxis mit ein.

 

Was würdest Du zu Deinem Ich vor 10 Jahren gerne sagen?

Folge Deinen Interessen, lass Dich nicht verunsichern und gehe immer weiter. Orientiere Dich an positiven Vorbildern. Versuche jeden Tag ein bisschen besser zu werden. Und vergiss die Schönheit und Faszination des Lebens nicht. (Das würde ich mir übrigens heute auch noch sagen.)