Das Belle II-Experiment

Die Physik

Das Belle II-Experiment ist ein Teilchenphysikexperiment, es erforscht also Naturgesetze durch die Analyse von Teilchenzerfällen. Um solche Teilchenzerfälle zu erzeugen, werden elektrisch geladene Teilchen in einem Teilchenbeschleuniger durch elektrische Felder auf sehr hohe Geschwindigkeiten beschleunigt und miteinander kollidiert.

Im SuperKEKB-Beschleuniger, an dem das Belle II-Experiment stattfindet, wird ein Elektronenstrahl mit einem Positronenstrahl bei einer Schwerpunktsenergie (d.h. der Gesamtenergie der beteiligten Teilchen) von 10,58 GeV zur Kollision gebracht. Diese Energie entspricht in etwa der Ruheenergie eines bestimmten Y-Mesons (dem sog. Y(4S)), einem Teilchen, in dem ein b-Quark und ein anti-b-Quark aneinander gebunden sind, sodass die Produktion des Y(4S) begünstigt ist. Da das Y(4S) praktisch ausschließlich in ein Paar aus B-Meson und Anti-B-Meson zerfällt, werden Beschleuniger wie der SuperKEKB auch als B-Fabriken bezeichnet.

Um zeitabhängige Materie-Antimaterie-Asymmetrie-Effekte beobachten zu können und um die Zerfallszeiten von Teilchen durch eine Messung der zurückgelegten Strecke rekonstruieren zu können, müssen die Zerfallsprodukte in Bewegung sein. Zu diesem Zweck wird die eingebrachte Energie von Elektronen- und Positronenstrahl asymmetrisch gewählt. Ansonsten wären B-Meson und Anti-B-Meson zu langsam, weil die eingebrachte Energie fast genau der benötigten Energie zur Erzeugung dieses Teilchenpaars entspricht, sodass kaum kinetische Energie übrig bleibt. Die erzeugten B-Mesonen zerfallen dann weiter, wobei sehr viele Zerfallskanäle möglich sind: So werden in einer Vielzahl von zum Teil recht komplexen Zerfällen andere Teilchen (wie Myonen oder Tau-Leptonen) erzeugt. Die Aufgabe und große Herausforderung der physikalischen Analyse ist es, diese Zerfälle zu rekonstruieren (d.h. Teilchentypen und Entstehungszeiten zu bestimmen), um neue, tiefere Erkenntnisse über bestimmte physikalische Mechanismen zu gewinnen oder sogar neue Teilchen zu finden, die zu einer neuen Theorie jenseits des etablierten Standardmodells der Elementarteilchen gehören.

Eines der Hauptziele des Belle II-Experiments ist also die Suche nach neuer Physik jenseits des Standardmodells. Damit steht es in gewisser Weise in Konkurrenz zu den großen Teilchenphysikexperimenten, wie dem ATLAS- und CMS-Experiment am LHC (Large Hadron Collider) im CERN. Dort wird unter anderem nach direkten Signalen für eine solche neue Physik im TeV-Energiebereich, also im Hochenergiebereich, gesucht. Unter solchen direkten Signalen versteht man die Produktion neuer Teilchen, wobei ATLAS und CMS besonders gut darin sind, auch sehr schwere Teilchen auf dem direkten Weg zu finden. Für solche direkten Signale schwerer Teilchen ist die vergleichsweise niedrige Schwerpunktsenergie des SuperKEKB nicht ausreichend. Das Belle II-Experiment setzt daher auf eine andere, ergänzende Strategie: Belle II arbeitet nicht bei hohen Energien, sondern im Hochpräzisionsbereich und setzt daher auf hohe Luminosität (d.h. auf eine besonders große Anzahl von Teilchenkollisionen pro Zeiteinheit). Der Vorteil dabei ist, dass Abweichungen von den Vorhersagen des Standardmodells, sog. indirekte Signale, auch bei niedrigen Energien nachgewiesen werden können. Denn die hohe Präzision kann auch sehr kleine Abweichungen aufzeigen. Nach den Gesetzen der Quantenphysik entstehen solche Abweichungen durch Wechselwirkungen, die durch neue Teilchen vermittelt werden. Belle II kann also "Fußabdrücke" neuer Teilchen erkennen, und zwar auch dann, wenn diese Teilchen sogar für die direkte Entdeckung bei ATLAS und CMS zu schwer sind.

Quarks und Leptonen kommen in drei Kopien vor, die man als Generationen bezeichnet, wobei sich die Teilchen von ihren Partnern in den anderen Generationen nur durch ihre Masse unterscheiden. Besonders sensitiv auf die erhofften Effekte "neuer Physik" sind Prozesse, bei denen Quarks oder Leptonen im Zerfall von einer Generation zur anderen "springen". Verschiedene Physikexperimente (z.B. am LHC) observieren derzeit Hinweise für die Existenz eines anomalen Verhaltens bei solchen "Sprüngen". Im Belle II-Experiment sollen nun weitere Zerfälle, die mit dieser möglichen "neuen Physik" zu tun haben, mit einer besonders hohen Genauigkeit gemessen werden. Das Ziel ist, die entsprechenden Abweichungen eindeutig zu bestimmen und die Eigenschaften der zugrunde liegenden neuen Naturgesetze genauer einzugrenzen.

Belle II kann aber auch auf eine ganz andere Weise "neue Physik" entdecken: Falls es neue leichte Teilchen gibt, die nur sehr schwach mit den bekannten Teilchen wechselwirken, dann könnten sie bei Belle II produziert und nachgewiesen werden, während dies am LHC nicht möglich ist. Solche leichten Teilchen spielen eine Rolle in Theorien der mysteriösen Dunklen Materie. 
 

Zerfall eines B-Mesons in ein leichteres Meson, ein geladenes Lepton (Elektron, Myon, Tau) und ein Neutrino.

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