Belle II sieht seltenen Teilchenzerfall - Verbesserte Technologie macht Entdeckung möglich

Auch in der Welt der Elementarteilchen, in der die immer größer oder leistungsfähiger werdenden Maschinen erstaunliche Vorarbeit geleistet haben, um die Spieler und ihre Spielregeln kennen zu lernen, können Wissenschaftler:innen Neues entdecken. Genau das ist mit dem Teilchendetektor Belle II gelungen, der von einer internationalen Kollaboration am japanischen Forschungslabor KEK betrieben wird, berichtet das Team um den DESY-Forscher Sasha Glazov in einem diese Woche veröffentlichten Preprint (https://arxiv.org/abs/2311.14647).

Zum ersten Mal überhaupt hat es ein geladenes B-Meson (ein Teilchen, das aus einem Quark und einem Anti-B-Quark besteht), in ein Kaon (ein weiteres Teilchen, das aus einem Quark und einem Antiquark besteht), ein Neutrino und ein Antineutrino zerfallen sehen. Dieser Zerfall kommt nicht überraschend: Er wird vom Standardmodell der Teilchenphysik, der zugrundeliegenden Theorie, die die Bausteine und Kräfte im Universum beschreibt, mit hoher Präzision vorhergesagt. Bislang war es aufgrund der technischen Grenzen allerdings schlicht unmöglich, ihn nachzuweisen. Überraschend ist hingegen die Häufigkeit, mit der die Belle-II-Forschenden sie beobachten. “Unsere Beobachtungen stimmen zwar mit der Theorie überein, aber sie sind etwas häufiger, als wir es erwarten würden", sagt Glazov. "Es könnte ein Zeichen für etwas Neues sein, oder es könnte nur eine Fluktuation sein - wir werden eine genauere Antwort geben können, wenn wir mehr Daten nehmen."

Ein Zerfall wie dieser ist wegen der dabei entstehenden Neutrinos besonders schwer zu erkennen und korrekt zu identifizieren. Neutrinos sind die "Geisterteilchen" des Universums. Es gibt sie in Hülle und Fülle, aber sie wechselwirken fast gar nicht. Für ein Kollisionsereignis wie das, das im Belle II-Detektor des SuperKEKB-Beschleunigers erzeugt wird, sind sie unsichtbar. Sie hinterlassen keine Spuren, geben keine Energie ab und spüren das Magnetfeld nicht - sie tauchen einfach auf, wenn das B+-Meson zerfällt, und verschwinden buchstäblich spurlos. Das bedeutet, dass die Forscher die vielen verschiedenen Vorgänge aus der Teilchenkollision entwirren und nach jenen Prozessen suchen müssen, bei denen ein winziges Stückchen Energie fehlt. Und da der untersuchte Zerfall nicht sehr häufig vorkommt, ist es äußerst schwierig, ihn zu extrahieren.

Dass diese Beobachtung nun möglich wurde, ist auf eine Reihe von Faktoren zurückzuführen. Zunächst einmal hat das Team versucht, den Zerfall so weit wie möglich zu filtern, d. h. von allem Untergrundrauschen zu befreien, um ein klareres Bild von der Signatur des zerfallenden B-Mesons zu erhalten. Sie machten sich die Tatsache zunutze, dass am SuperKEKB-Beschleuniger die B-Mesonen paarweise erzeugt werden und das zweite "Tag"-B-Meson verwendet werden kann, um auf die Zerfallseigenschaften des ersten B-Mesons zu schließen. Dazu verbesserten sie zum einen eine traditionelle Methode, das so genannte Hadronische Tagging, das die komplette Reise einzelner Teilchen, der so genannten Hadronen (zu denen neben den bekannteren Protonen und Neutronen auch B-Mesonen und Kaonen gehören) durch den Detektor rekonstruiert. Andererseits setzten sie Methoden des maschinellen Lernens ein, um neue Signaturen aus dem Untergrund herauszufiltern. "Dies ist eine grundlegend neue Technik", erklärt Glazov.

Die DESY-Forschenden, die diese Analyse in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler:innen von KEK in Japan, dem KIT in Karlsruhe sowie Gruppen in Italien und Frankreich durchgeführt haben, sind äußerst vorsichtig, wenn es darum geht, den unerwarteten Überschuss in ihrer Beobachtung als Entdeckung zu bezeichnen. Wie bei solchen Studien üblich, hat das Team versucht, sicherzustellen, dass sie nicht Opfer ihrer eigenen Voreingenommenheit werden, weil sie etwas Neues sehen wollten. Dazu haben sie die Daten blind analysiert und jede einzelne Annahme, Berechnung und jedes Ergebnis in einem Prozess, der 1,5 Jahre dauerte, überprüft und gegengeprüft. Ihr Ergebnis, das erstmals auf der Tagung der Europäischen Physikalischen Gesellschaft zur Hochenergiephysik in Hamburg in diesem Sommer vorgestellt wurde, hat bereits großes Interesse unter Theoretikerinnen und Theoretikern geweckt, die versuchen, sich einen Reim auf das Ganze zu machen. "Es kursieren einige Theoriepapiere, in denen spekuliert wird, dass es sich bei der Anomalie um dunkle Materie oder um eine legendäres Teilchenphysikphänomen namens Leptoquarks handeln könnte. Aber die Wahrheit ist: Es ist einfach zu früh, um das zu sagen", sagt Glazov. Es besteht kein Zweifel daran, dass das, was sie gesehen haben, genauer untersucht werden muss, wenn nach der derzeitigen Abschaltung weitere Daten eintreffen.

All diese Studien dienen dazu, unser Verständnis der Teilchenphysik und der grundlegenden Bausteine der Materie zu verbessern - einschließlich der Frage, was die Ursache für das unterschiedliche Verhalten von Materie und Antimaterie im Universum ist. Im SuperKEKB-Beschleuniger werden Elektronen und Positronen auf hohe Energien beschleunigt und im Belle II-Detektor zur Kollision gebracht. Die deutsche Belle II-Kollaboration hat den innersten Detektor in Belle II, den PXD, entwickelt. Das B-Meson-System ist ein ideales Labor, um eine der grundlegendsten Symmetrien der Natur zu untersuchen.

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Eigens angefertigte Karikatur zum Thema von den Kolleg*innen aus Japan.
Vergleich des neuen Belle II Ergebnisses mit vorhergehenden Ergebnissen. Die Darstellung findet sich auf Seite 23 in dem arXiv Papier.