Rekord-Messergebnis: Belle II bestimmt die Masse des Tau-Leptons mit der bisher höchsten Präzision

Die Belle-II-Kollaboration hat die bisher genaueste Messung der Masse des Tau-Leptons (auch „Tauon“ genannt) durchgeführt. Die an dem Belle-II-Detektor des japanischen Forschungslabors KEK arbeitenden Wissenschaftler:innen berichten, dass das Tau-Lepton eine Masse von 1777,09 ± 0,14 MeV hat, was mit früheren Messungen übereinstimmt. Die Studie wurde von Mitarbeitenden des Forschungszentrums DESY geleitet.

Das Standardmodell der Teilchenphysik beschreibt die fundamentalen Teilchen und ihre Wechselwirkungen durch die drei fundamentalen Kräfte der Natur – die elektromagnetische, die schwache und die starke Kraft -, die wir im Universum beobachten. Es gilt als die bis heute genaueste und umfassendste Theorie der Teilchenphysik. Im Standardmodell gibt es zwölf verschiedene Arten von Elementarteilchen: sechs Quarks und sechs Leptonen. Obwohl das Standardmodell bisher sehr präzise ist, ist es nicht vollständig. Es erklärt weder die Schwerkraft noch dunkle Materie oder dunkle Energie, die vermutlich den größten Teil der Materie und Energie im Universum ausmachen.

Die sechs bekannten Arten von Leptonen sind in drei Generationen oder „Geschmacksrichtungen“ unterteilt: Elektron und Elektron-Neutrino, Myon und Myon-Neutrino, Tau und Tau-Neutrino. Das Elektron, das Myon und das Tau haben eine elektrische Ladung, während die Neutrinos, wie der Name schon vermuten lässt, neutral sind. Das Tau-Lepton wurde in einer Reihe von Experimenten zwischen 1974 und 1977 im SLAC-Forschungszentrum in den Vereinigten Staaten entdeckt.  Wissenschaftler:innen haben die Eigenschaften des Tau-Leptons jahrzehntelang untersucht, um sein Verhalten besser zu verstehen. Das Tau-Lepton ähnelt den beiden anderen geladenen Leptonen, ist aber viel schwerer - etwa 3.477 Mal schwerer als das Elektron und etwa 17 Mal schwerer als das Myon. Im Gegensatz zu seinen leichteren Vettern, dem Elektron und dem Myon, wurden die Eigenschaften des Tau-Leptons, wie z. B. seine Masse, noch nicht mit der gleichen Präzision gemessen. Die Eigenschaften des Tau-Leptons sind viel schwieriger zu untersuchen als die des Elektrons und des Myons, da sich Taus nicht lange genug halten. Elektronen sind stabile Teilchen, was bedeutet, dass die meisten Elektronen, die uns umgeben, seit Beginn des Universums existieren. Myonen- und Tau-Teilchen hingegen sind beide instabil: Sie zerfallen jeweils nach einiger Zeit in andere Teilchen. Während die Lebensdauer des Myons bereits recht gering ist (etwa 2 Millionstel Sekunden), ist die Lebensdauer des Taus noch etwa 10 Millionen Mal kürzer! In etwa 2,9 x 10-13 Sekunden zerfallen die Tau-Leptonen in ein W-Boson und ein Tau-Neutrino. Das W-Boson wiederum kann entweder ein Quark-Paar oder ein Lepton-Paar erzeugen. Quarks können allerdings nicht einzeln existieren, sondern müssen immer an andere Quarks gekoppelt sein, um zusammengesetzte Teilchen wie Mesonen zu bilden. Ein Lepton-Paar besteht entweder aus einem Elektron und einem Elektron-Neutrino oder aus einem Myon und einem Myon-Neutrino. An den Tau-Zerfällen sind immer Neutrinos beteiligt, die einfach durch jede Art von Material hindurchfliegen und daher von experimentellen Instrumenten nicht erfasst werden. Für die Forschenden bedeutet dies, dass sie nur aus einem Bruchteil der Zerfallsprodukte Informationen über die Taus gewinnen können. Die Untersuchung der Eigenschaften des Tau-Leptons ist daher eine Herausforderung für die Teilchenphysik. Für die Überprüfung des Standardmodells der Teilchenphysik und die Suche nach Anzeichen für eine neue Physik jenseits dieses Modells ist es jedoch wichtig, die Eigenschaften des Taus, wie z. B. die Masse, so genau wie möglich zu kennen.

So gibt es zum Beispiel eine vorhergesagte Beziehung zwischen der Zerfallsrate des Tau in ein leichteres Lepton und seiner Zerfallszeit bei einer bestimmten gemessenen Tau-Masse. Dieser Zusammenhang ist sehr von der Größe der Tau-Masse abhängig. Bei Verwendung des weltweiten Durchschnittswerts der Tau-Masse, 1776,86 ± 0,12 MeV, von der Particle Data Group (PDG), sehen die Forschenden eine leichte Diskrepanz zwischen der Vorhersage und den von ihnen gemessenen Werten. Wenn sich diese Spannung bei genaueren Messungen vergrößert, könnte dies ein Hinweis auf das Vorhandensein einer neuen Physik jenseits des Standardmodells sein. Sollten die präziseren Messungen hingegen mit dem bestehenden Wert übereinstimmen, werden sie dennoch unser Wissen über das Standardmodell verbessern. 

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von DESY leiteten die Analyse zur Bestimmung der Tau-Masse. Die Daten, die sie verwendeten, wurden in den Jahren 2019 und 2021 mit dem Belle II-Detektor am SuperKEKB-Beschleuniger in Japan gesammelt. Am SuperKEKB wurden 7-GeV-Elektronen und 4-GeV-Positronen zur Kollision gebracht, wobei etwa 175 Millionen Tau-Paar-Ereignisse erzeugt wurden. Für die Massenmessung untersuchten die Forschenden die Zerfälle von Tau-Leptonen in drei Pionen und ein Tau-Neutrino und verwendeten eine Technik, die ursprünglich von der ARGUS-Kollaboration bei DESY im Jahr 1992 entwickelt wurde. Bei dieser Methode liegt die Herausforderung in der genauen Untersuchung des Zerfalls und der Energie der Elektron-Positron-Kollision. Diese Komponenten bestimmen die Genauigkeit der Messung. Durch die Untersuchung dieser Zerfälle konnten die Wissenschaftler:innen die Masse des Tau auf 1777,09 ± 0,14 MeV bestimmen. Dieses Ergebnis stimmt mit früheren Messungen überein. Beeindruckend ist jedoch, dass es die bisher beste Präzision bei einer einzelnen Messung bietet.

„Dies wird sicherlich unser Verständnis der Eigenschaften der Tau-Leptonen und des Standardmodells verbessern“, erklärt DESY Belle-II Wissenschaftlerin Armine Rostomyan. „So können wir neue Ideen zu erforschen, um die Tau-Masse mit noch größerer Präzision zu messen.“ 

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Künstlerische Darstellung des Belle II-Detektors. Bild: KEK / Rey.Hori